Zwei silberne Gabeln als bleibendes Vermächtnis


Begegnungsabend der Initiativgruppe Stolpersteine mit Gästen aus Israel / Die 93-jährige Anni Boese übergibt symbolträchtiges Geschenk

Text und Foto von Horst vom Hofe

(Quelle: Meinerzhagener Zeitung vom 27.06.2013)


MEINERZHAGEN  Es war ein Abend voller Emotionen. Im Evangelischen Gemeindehaus am Kirchplatz wurden am Vorabend der Verlegung der ersten Stolpersteine die 16 Gäste aus Israel und Österreich von den Mitgliedern der Meinerzhagener Initiativgruppe mit einem Begegnungsabend überaus herzlich begrüßt. Es handelte sich um die Nachfahren des 1937 nach Palästina geflüchteten Walter Rosenthal in der zweiten und dritten Generation. „Meinerzhagen ist die Stadt, die er so sehr liebte und bis zu seinem Tod nicht vergessen hat“, sagte in einer berührenden Rede seine 1946 geborene Tochter Ruth.

Unter den Teilnehmern des Abends waren auch fünf Meinerzhagener Zeitzeugen, die sich noch genau an ihre einstigen Nachbarn erinnern können, die dann unter dem Druck des Nazi-Terrors ausgegrenzt, verfolgt und ermordet wurden. Gerda von Seelen, Inge Michel, Anneliese Pohl, Heinz Borlinghaus und Anni Boese hatten alte Fotos mitgebracht und tauschten sich über ihre Erinnerungen sehr intensiv mit den Besuchern aus.

Ganz bewusst abseits von dem Trubel in dem mit über 100 Menschen gefüllten Gemeindesaal gab es in einem kleinen Nebenraum eine Begegnung, wie sie dem Drehbuch eines aufwühlenden Dokudramas hätte entsprungen sein können. Die 93-jährige Meinerzhagenerin Anni Boese, Tochter des stadtbekannten Bäckers Julius Kamphaus, vollzog im einstigen Haus ihrer Eltern den letzten Akt eines ganz besonderen Vermächtnisses. „Eine Herzensangelegenheit in einer Geschichte, die mich bis heute nicht los gelassen hat“, wie sie dem Chronisten der MZ erzählte, der die besondere Freude hatte, an dieser schicksalhaften Begegnung teilnehmen zu dürfen. Anni Boese übergab an die Tochter und Enkeltochter von Walter Rosenthal je eine silberne Gabel, die sie in einem dazugehörigen Etui über mehr als siebzig Jahre lang sorgsam aufbewahrt hatte. Es war die letzte Erinnerung an die einstige Nachbarsfamilie Stern. Emil Stern hatte vor seiner Deportierung im April 1942 einige Dinge in die Obhut von Familie Kamphaus gegeben, die man auf die Reise, die ins Vernichtungslager führen sollte, nicht mitnehmen durfte. „Eine Tischdecke, Römer-Gläser, einige Kleidungsstücke und auch zwei Silbergabeln als einzige Überbleibsel aus dem wertvollen Familienbesteck“, zählt Anni Boese auf. Sie hat nach dem Krieg und zuletzt 1982, als es auf Einladung des Arbeitskreises Juden und Christen und der Stadt Meinerzhagen zum ersten offiziellen Besuch von Überlebenden des Holocaust in deren einstiger Heimatstadt kam, nach und nach diese Erinnerungsstücke aus dem Besitz der Familie Stern als Geschenke an deren überlebende jüdischen Angehörigen, Freunde und Bekannte abgegeben. Ein solches Erinnerungsstück bekam 1982 auch Walter Rosenthal, der es mit nach Israel nahm.

Geblieben waren nur noch die beiden silbernen Gabeln. „Die sollen nun in der zweiten und dritten Generation der Familie Rosenthal an die Wurzeln der Familie in Meinerzhagen erinnern“, so der Wunsch von Anni Boese. Ruth Rosenthal und ihre Tochter Limor waren zu Tränen gerührt, als sie das symbolträchtige Geschenk erhielten. Und gibt es wirklich Zufälle wie diese? Aus der Heimat für ihre Gastgeber und so auch für Anni Boese hatte Familie Rosenthal/Avituv kleine Geschenke mitgebracht – liebevoll eingepackt in nahezu exakt dem gleichen Papier wie es die betagte Meinerzhagenerin auch mit den beiden Silbergabeln getan hatte. Und als Anni Boese ihr Geschenk auspackte, erkannte sie gleich den schicksalsträchtigen Bezug: „God bless this home“ stand auf dem Schlüsselbrett aus Messing – „Gott segne dieses Haus“ – exakt jener Spruch, der einst in der Bäckerei Kamphaus hing...

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